Transformation des Publikationssystems zu Open Access

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Transformation des Publikationssystems zu Open Access

Open Access

Quelle: istock

Konsequenzen für Wissenschaft, Bibliotheken und Verlage

Die Transformation des wissenschaftlichen Publizierens durch die Umstellung der Geschäftsmodelle vom Lizensierungs- und Subskriptionsmodell auf ein autorenfinanziertes Modell (APC-Modell) läuft auf Hochtouren. Ursachen für diesen Prozess sind zum einen die Zeitschriftenpreise und deren Anstieg in den 1990er-Jahren und zum anderen die Idee, dass wissenschaftliche Ergebnisse, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden, frei zugänglich sein sollten. Open Access bedeutet die für Leser kostenfreie digitale Online-Bereitstellung von wissenschaftlicher Literatur.

Die sogenannte Open Access-Bewegung hat sich dabei insbesondere in den Fachgebieten der Science-Techology-Medicine (STM) etabliert und zu einer relevanten Transformationskraft entwickelt. Gleichwohl ist aktuell nicht abzuschätzen, wohin dieser Weg genau führt, auch wenn politische Entscheidungsträger in vielen Ländern eine flächendeckende Umstellung auf Open Access anstreben. Der Wunsch nach einem möglichst hindernisfreien Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen ist verständlich, da es für jeden Wissenschaftler entscheidend ist, dass seine Ergebnisse möglichst weit verbreitet werden. Doch Open Access hat Konsequenzen für Bibliotheken, Verlage und die Wissenschaft selbst, die oftmals nicht in ihrer ganzen Tragweite gesehen werden. Ein wichtiges Argument für die Open Access-Bewegung ist die Befreiung aus der Abhängigkeit von international agierenden Grossverlagen. Diese Determiniertheit des Publikationssystems und die damit einhergehende Konzentration des Marktes werden zurecht beklagt. Die Folge ist die Bildung von Oligopolen mit überhöhten Preisen aufgrund mangelnder Substitutionsmöglichkeiten. Die Umstellung des Publikationssystems vom subskriptionsbasierten Geschäftsmodell zum APC-Modell beendet diese Abhängigkeit allerdings nicht wirklich. Durch den Abschluss von Read- und Publish-Verträgen mit wenigen STM-Grossverlagen wird die wirtschaftliche wie fachliche Konzentration noch verstärkt. Dabei wird – ganz ähnlich wie bei den Subskriptionen – eine Art Flatrate vereinbart, mit der die Autoren eines Landes ihre Arbeiten veröffentlichen können und zugleich der Zugriff auf alle Inhalte eines Verlages ermöglicht wird. Diese Big Deals sind in der Summe noch grösser und umsatzstärker als es die alten Big Deals der Subskriptionen waren. Damit wird immer mehr Geld in immer weniger Geschäftspartner investiert. Einige wenige Monopolisten bekommen immer mehr Macht, was die Diversifizierung der Branche behindert. Es besteht nun ein erhebliches Risiko in eine analoge Abhängigkeitssituation durch permanente Erhöhungen der APCs der Monopolisten zu geraten.

Big Deals mit den Big Playern – und wo bleiben die Kleinen?


Hunderte von klein- und mittelgrossen Verlagen haben teilweise seit Jahrhunderten mit bewährten (und finanzierbaren) Geschäftsmodellen zur Verbreitung der Ergebnisse von Wissenschaft und Forschung erfolgreich beigetragen bzw. tragen mit neuen Modellen und Ansätzen noch bei. Ihnen allen wird regelrecht das Wasser abgegraben, denn nach Abschluss weniger Big Deals mit den Big Playern sind die Kassen leer und die Budgets von Wissenschaft und Bibliotheken aufgebraucht. Diese Gefahr besteht real und es zeigt sich, dass die Restliquidität der Bibliotheken, also jene Mittel, die spontan, schnell und laufend für aktuell erscheinende Literatur, graue Literatur, retrospektive Beschaffungen, neue Initiativen und kleine Projekte eingesetzt werden können, gegen Null geht. 
Die massive Fokussierung auf Big Deals im STM-Segment verstärkt zugleich die Dominanz in der digitalen Informationsversorgung. Niemand will das Rad zurückdrehen und in den STM-Fächern ist die elektronische Verfügbarkeit von Literatur und Information erwarteter Standard. Doch in den Geistes- und Sozialwissenschaften sind gedruckte Medien noch immer Teil der relevanten Informationsversorgung. Die aktuelle Open Access-Diskussion hingegen ignoriert diesen nicht unbeträchtlichen Teil der Literaturversorgung an Universitäten und Hochschulen völlig und macht die Geistes- und Sozialwissenschaften zu Wissenschaften zweiter Klasse, die sich nur noch aus den Restmitteln bedienen sollen, die nach Abschluss der Big Deals übrigbleiben. 

Statt dem Schlaraffenland droht die Überversorgung


Die Flatrate für wissenschaftliche Information und Literatur bedeutet zudem, dass jeder alles lesen kann. Was wie eine Fantasie aus dem Schlaraffenland der Literaturversorgung klingen mag, kippt in Wirklichkeit aber schnell in eine maximale Überversorgung. Auf den zweiten Blick nämlich wird schnell klar, dass die wissenschaftliche Literatur und Information, über die hier gesprochen und verhandelt wird, eine hoch spezielle und nur für exklusive Expertengruppen verständliche Information darstellt. Ein direkter Gewinn für die breite Gesellschaft ist hierin nicht zwangsläufig zu postulieren. Selbst Wissenschaftler verwandter Disziplinen verstehen die Fachliteratur der Nachbarsdisziplinen kaum noch. Für die breite Öffentlichkeit ist die Open Access-Verfügbarkeit dieser hoch spezifischen Literatur deshalb weitgehend wertlos und verstärkt eher die herrschende Informationsflut, als dass sie der breiten Masse wirklich weiterhilft. Oder wie Frank Schirrmacher es in seinem Buch «Pay Back» ausdrückte: «Für all you can eat muss der Körper blechen. Für all you can read der Geist.»
Der freie Zugang zu Literatur und Information subventioniert zudem kommerzielle Unternehmen, die nicht in nennenswertem Umfang als Autoren in das System des Publizierens investieren. Sie zählen zu den Profiteuren der Transformation. Private, forschungsstarke Unternehmen etwa in der Pharmaindustrie, biochemischen und chemischen Industrie, im Maschinenbau, in der Autoindustrie, Softwarefirmen, Banken und Versicherungen haben bisher für die Nutzung von wissenschaftlicher Information bezahlt, und dies in ihrem Businessmodell berücksichtigt. Nun werden sie von der öffentlich finanzierten kostenlosen Verfügbarkeit dieser Information profitieren, ohne dass sie in das System selbst einzahlen. Die Privatwirtschaft schöpft hier staatliche Mittel, die für Wissenschaft und Forschung bereitgestellt werden, ab. Diesmal allerdings nicht – wie bei der Open Access-Diskussion ständig beklagt – durch die Informationsindustrie, sondern durch jene oben genannten Unternehmen, denen der kostenlose Zugang zu wissenschaftlicher Literatur jetzt die Gewinnmargen erhöht. 

Die sinnvolle Alternative


Der Wunsch von Wissenschaft, Gesellschaft und Bibliotheken, den Zugang zu Literatur und Information für alle bezahlbar zu halten oder wieder bezahlbar zu machen ist legitim und sinnvoll. Dass man dabei auch neue Wege überdenkt und ausprobieren will, ist zulässig. Ebenso das Bestreben, Monopole zu verhindern und Preise auf ein akzeptables Wettbewerbsniveau zu senken. Die aktuellen staatlichen Open Access-Initiativen scheinen diese Ziele allerdings immer wieder aus den Augen zu verlieren, weil sie wichtige Stakeholder und wertvolle Partner in Konzeption, Produktion und Vertrieb von wissenschaftlichen Erkenntnissen aussen vor lassen. 

Viel sinnvoller als Big Deals scheinen Massnahmen, die relativ einfach umzusetzen sind und deren Wirkung zumindest mittelfristig die Konzentration auf dem Markt der Informationsindustrie deutlich reduzieren wird, ohne dabei das funktionierende Verlagssystem und die Literaturversorgung nachhaltig zu schädigen:

  • Konsequente und nachhaltige Unterstützung der verschiedensten Initiativen zur Realisierung der unterschiedlichsten Open Access-Modelle
  • Weiterer Ausbau des Grünen Wegs von Open Access und Unterstützung der Hochschulserver sowie der fachlichen Repositorien für die Zweitveröffentlichung von Publikationen
  • Anerkennung und Berücksichtigung der Disziplinenvielfalt in der Wissenschaft und ihrer unterschiedlichen Publikationskulturen sowie das Recht auf freie Wahl der Publikationsorgane für Wissenschaftler
  • Fortführung einer diversen, breiten und heterogenen Literaturversorgung durch Bibliotheken aus den (noch) vielfältigen Programmen der kleinen und mittelgrossen Verlage in der Wissenschaftswelt zur Schaffung eines sinnvollen, qualitätsgeprüften und von der Wissenschaft goutierten Mix an gedruckter und elektronischer Literatur
  • Stärkung der Bibliotheken als verlagsübergreifende Instanzen mit wirtschaftlicher und inhaltlicher Unabhängigkeit, die für Neutralität und Nachhaltigkeit stehen
  • Differenzierte und angemessene Finanzierung der Literatur- und Informationsversorgung in der Verantwortung der Bibliotheken und Hochschulen statt zentraler, nationaler Finanzierung von Flatrates mit zweifelhaftem Nutzen.