Schelte für die Justiz

Schelte für die Justiz

Schelte für die Justiz

Quelle: istock/wesvandinter

Ob Kölner Silvesternacht, Abschiebung des Gefährders Sami A., die Regelverstösse deutscher Banken in der Finanzkrise oder die allgemein hohe Einstellungsquote bei Strafverfahren aller Art: Zahlreiche Urteile der Justiz aus den vergangenen Jahren stossen auf Unverständnis in der Bevölkerung. Zum einen erscheinen viele Urteile in ihrer Ausprägung für die öffentliche Meinung nicht nachvollziehbar, zum anderen gründet sich die Missstimmung auch auf fragwürdiges Handeln der Politik. Jüngstes und prominentes Beispiel hierfür sind die Urteile im Zusammenhang mit den Abgasskandalen der Autoindustrie. Sowohl aus den Reihen der Politik als auch seitens der Bürger hagelt es harsche Kritik insbesondere hinsichtlich der Entscheidungen zu Feinstaubbelastung und Umweltschutz. Dabei halten sich die Gerichte unter Berücksichtigung von Ermessensspielräumen schlicht an die geltenden Gesetze.

Beispiel Fahrverbote: Unverhältnismäßig und nicht zielführend?

Die Fragen nach Sinnhaftigkeit und Verhältnismässigkeit der Regelungen werden indes immer lauter. Angezweifelt wird, ob die Abgasbelastung vor allem in den Städten wirklich so gross ist, dass eine relevante Gefahr für die Gesundheit besteht. Zudem blieben Benzinfahrzeuge von der Diskussion bis vor Kurzem erstaunlicherweise unbetroffen, und auch der massive Schadstoffausstoss durch die zwar beliebten, aber nun mal mit Schweröl betriebenen Kreuzfahrtschiffe scheint die grossen Hafenstädte nicht über Gebühr zu beunruhigen. Kein Wunder also, dass es ein gefühltes Missverhältnis zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und den Urteilen zu Feinstaub und Umweltschutz gibt. Die Auswirkungen sind teilweise massiv: Wenn ein Streckenabschnitt der A40 komplett für Dieselfahrzeuge gesperrt werden soll, haben unzählige Berufskraftfahrer ein Problem; ganze Innenstädte könnten von der täglichen Versorgung abgeschnitten werden, denn Lieferungen an Supermärkte, Handwerkerfahrten und Baustellenverkehr erfolgen zum grössten Teil mit Dieselfahrzeugen, um nur einzelne Beispiele zu nennen. 

Umgehen von Urteilen


Die Reaktionen der Politik beschränken sich mittlerweile nicht mehr nur auf Kritik und Empörung gegen die Justiz. Einige Kommunen schlagen einen pragmatischeren Weg ein und ignorieren die Entscheidungen der Gerichte schlichtweg. So setzt das Bundesland Bayern nach einem rechtskräftigen Urteil ein Dieselfahrverbot für die Stadt München nicht um und zahlt lieber ordnungsgemäss die hierüber verhängten Zwangsgelder. Der Streit droht zu eskalieren: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof denkt über die Möglichkeit einer Zwangshaft für Ministerpräsidenten, Minister und Behördenleiter nach.
Auch in anderen Bereichen bleiben Gerichtsentscheidungen unbeachtet. Als die Stadt Wetzlar sich weigerte, der NPD ihre Stadthalle für eine Kundgebung zu vermieten, entschied das Bundesverfassungsgericht zugunsten der NPD. Die Vermietung unterblieb trotzdem, die Stadt ignorierte das Urteil und setzte sich über die höchstrichterliche Entscheidung einfach hinweg. 


Verantwortlichkeit der Politik


Wer nach Gründen für den Vertrauensverlust in die Gerichte sucht, wird schnell fündig. Auf der einen Seite steht die Justiz selbst, die seit Jahren über Überlastung klagt und mit den Verfahren einfach nicht mehr hinterherkommt. Dies führt dazu, dass beispielsweise Intensivstraftäter wegen überlanger Verfahrensdauer freigelassen werden müssen, trotz zum Teil erheblichen Gefährdungspotenzials. Der zuletzt vielbeschworene Pakt für den Rechtsstaat hat noch nicht gegriffen. Zudem gibt es im Bereich der Justiz augenfällige Defizite bei der Kommunikation von Verfahren und Urteilen. Richter sprechen zwar durch ihre Entscheidungen, aber nicht darüber. Dabei sind viele Urteile durchaus erläuterungsbedürftig; eine effiziente Öffentlichkeitsarbeit könnte für weitaus mehr Verständnis sorgen. Auf der anderen Seite steht aber auch die Politik, die es den Gerichten in vielen Bereichen nicht einfach macht. Im Hinblick auf die Dieselfahrverbote beispielsweise stehen die EU-Grenzwerte für Stickoxidbelastung seit über zehn Jahren im Raum und sind bindend für die Gerichte. Gehandelt hat aber keiner, um langfristig eine Strategie zur Einhaltung der Grenzwerte zu schaffen. Da den Gerichten neben den Ermessensgrundsätzen nicht viel übrig bleibt, als geltendes Recht anzuwenden, ist mehr denn je die Politik gefragt. Die Verantwortlichen machen es sich ein bisschen zu leicht, ausgerechnet die Justiz als Sündenbock für politische Versäumnisse heranzuziehen,