Das erste Zentrum für Legal Tech geht in sein zweites Halbjahr

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Das erste Zentrum für Legal Tech geht in sein zweites Halbjahr

Quelle: WU Legal Tech Center

Was ist die Zielsetzung für das WU Legal Tech Center?

Prof. Christoph Krönke (Mitgründer und Leiter): Gemeinsam mit Sophie Martinetz habe ich im März 2021 das WU Legal Tech Center als ein Forschungszentrum speziell zu Legal Technology gegründet, also zu technologisch unterstützter Rechtsanwendung. Unser Center steht an der Schnittstelle zwischen den praktischen Anwendungen von Legal Tech und ihrer rechtswissenschaftlichen Aufarbeitung und Einordnung. Ausgangspunkt all unserer Forschung ist deswegen auch immer die Frage: Welche Anwendungen gibt es (in absehbarer Zeit) in der Praxis? Bei uns gibt es weder Science Fiction, noch Geschichten aus dem Elfenbeinturm, sondern eine technisch und ökonomisch bestmöglich informierte rechtsdogmatische Begleitung von Legal Technology. Bei den rechtlichen Bewertungen möchten wir möglichst neutral vorgehen und Chancen wie Risiken von Legal Tech gleichermassen verarbeiten. Chancen bieten sich insbesondere für Verbraucher, denen digitale Angebote einen niedrigschwelligen Zugang zum Recht eröffnen können – beispielsweise mit Blick auf Programme zur Erstellung oder Prüfung von Verträgen und Vertragsklauseln. Auf der Risikoseite können dagegen intransparente Entscheidungen beim Einsatz von Algorithmen zu Buche schlagen, mit daraus folgenden Diskriminierungen und grundrechtlichen Abstrichen.

Arbeiten Sie am WU Legal Tech Center auch mit Studierenden zusammen und bieten Sie insbesondere auch Lehrveranstaltungen mit einem Schwerpunkt in Legal Tech an?

C.K.: Das WU Legal Tech Center widmet sich zwar vorrangig der Beforschung von Legal Technology, dennoch werden Studierende für diese Thematiken sensibilisiert. Wir achten sehr darauf, regelmässig Vorträge für Studierende anzubieten – im Wintersemester etwa voraussichtlich bei der WU Top League und bei den Junior Enterprises Austria. Ausserdem sind (auch) studentische Mitarbeiter*innen in die wissenschaftliche Arbeit am Center eingebunden und erhalten dadurch selbst einen tiefergehenden Einblick. Darüber hinaus betreuen wir zahlreiche Qualifikationsarbeiten von Studierenden im Bereich Legal Technology. Und selbstverständlich fliesst das Thema Legal Tech in meine Lehrveranstaltungen ein. Im letzten Sommersemester habe ich beispielsweise ein eigenes Seminar zur Digitalisierung im Öffentlichen Wirtschaftsrecht angeboten, bei dem auch Legal Tech eine grosse Rolle gespielt hat. Im Wintersemester wird der Schwerpunkt des Seminars dann auf den verschiedenen Aspekten beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz liegen. Perspektivisch möchten wir uns natürlich auch gerne mit eigenen Lehrveranstaltungen in die grundständige Lehre an der WU einbringen.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft / Praxis?

C.K.: Die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis ist gerade bei neuartigen Phänomenen dann sehr entscheidend, wenn diese sich aus der wirtschaftlichen Praxis heraus entwickeln. Das ist bei Legal Tech zweifellos der Fall, und das WU Legal Tech Center verfolgt ja gerade mit seiner Zielsetzung auch diese Verbindung. Eine in praktisch-ökonomischer Hinsicht bestens informierte rechtswissenschaftliche Begleitung von Legal Tech ist unseres Erachtens unverzichtbar. Unsere Forschungsprojekte knüpfen wir daher grundsätzlich an Legal-Tech-Anwendungen aus der Praxis an, idealerweise mit einem Partner aus der Wirtschaft. Auch in unsere Veranstaltungen binden wir vor allem Referent*innen aus der Praxis ein – etwa im Rahmen unseres Spring Symposiums. Zusätzlich arbeiten wir im Rahmen institutioneller Kooperationen, etwa mit dem Legal Tech Hub Europe (LTHE). In den letzten Monaten hat sich der daraus entstandene Dialog als sehr fruchtbar erwiesen, was auch unsere laufenden Projekte zeigen. Zweifellos ist das Interesse in Wirtschaft und Praxis an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung enorm!

Wie sehr wird Legal Tech rechtswissenschaftlich aufgearbeitet, und inwiefern ist das erforderlich? Gibt es international ähnliche Einrichtungen, mit welchen Sie sich austauschen? (z.B. auch mit der Schweiz)

C.K.: Das Interesse an der Beforschung und der Lehre von Legal Tech wächst zweifellos und überall. Inzwischen wird dieses Thema an immer mehr Universitäten zumindest in seinen Grundzügen mitbehandelt, in Passau kann man mittlerweile sogar einen Bachelor Legal Tech erwerben. Dabei sollte man natürlich nicht vergessen, dass das Thema in Wahrheit gar nicht so neu ist, wie es vielleicht klingen mag. Die Frage nach der Automatisierung von Verwaltungsentscheidungen etwa hat sich schon in den 1960er-Jahren gestellt – denken Sie beispielsweise an die Dissertation von Hans Peter Bull aus 1964 zur «Verwaltung durch Maschinen». Mittlerweile gewinnt das Thema aber eindeutig wieder sehr an Traktion, vor allem getrieben durch die technologischen Fortschritte, die viele der einst nur erträumten Anwendungen nun in greifbare Nähe gerückt haben. Insbesondere die Realisierbarkeit von Künstlicher Intelligenz sorgt hier für einen gewaltigen Vorschub. Gerade diese Entwicklungen verlangen umso dringender nach einer wissenschaftlichen Begleitung – auch um etwaige regulatorische Optimierungspotenziale aufzeigen zu können. Daneben streben wir auch internationale Kooperationen an, wie wir sie bereits mit dem LTHE eingegangen sind.  

Ihr persönlicher Zugang zu Legal Tech? Wann und warum haben Sie sich für diesen Bereich entschieden und was ist für Sie das Faszinierende daran?

C.K.: Ich selbst habe mich vor allem im Rahmen meiner Habilitationsschrift zum Öffentlichen Digitalwirtschaftsrecht mit Legal Technology beschäftigt. Faszinierend fand ich im ersten Zugriff vor allem das Potenzial, das eine digital unterstützte Rechtsanwendung für Verbraucher entfalten kann. Denken Sie nur an die Portale zur Geltendmachung von Entschädigungen bei Flug- und Zugverspätungen, oder an die Mietrechner: Die Fluggastrechteverordnung oder die Mietpreisbremse waren bereits totgesagtes Verbraucherschutzrecht – erst Legal-Tech-Unternehmen haben diesen Verbraucherrechten zur Wirksamkeit verholfen. Auch viele Verwaltungsprozesse sind ohne digital unterstützte Rechtsanwendung kam mehr denkbar – etwa in der Steuerverwaltung. Das Thema Legal Technology stand daher schon seit langem ganz oben auf meiner Projektliste. Und als dann Sophie Martinetz eines schönen Tages bei uns «angeklopft» und eine Kooperation angeregt hat, war schnell die Idee geboren: Wir brauchen ein Legal Tech Center!

Welche konkreten Forschungsprojekte betreuen Sie im Moment?

C.K.: Wir betreuen mittlerweile einige Projekte, allesamt mit Partnern aus der Praxis. So arbeiten wir in Kooperation mit einer Rechtsanwaltskanzlei an einem gemeinsamen RegTech-Forschungsprojekt zum Thema «Regulating Decentralized Finance», das sich mit der technologieunterstützten Überwachung finanzwirtschaftlicher Phänomene auseinandersetzt. Des Weiteren spüren wir im Rahmen eines gemeinsamen Vorhabens zum Thema «Digitale Justiz» mit dem österreichischen Bundesministerium für Justiz der Frage nach, welche neuen Technologien die österreichischen Richter:innen und Staatsanwält:innen bei ihrer Arbeit bereits einsetzen bzw benötigen – ganz im Sinne unseres Anspruchs, unsere Forschungen auf den praktischen Realitäten zu gründen. Darüber hinaus beobachten und reflektieren wir natürlich laufend die Entwicklung rechtlicher Rahmenbedingungen, die den Einsatz neuer Technologien fördern können – zum Beispiel die Konstruktion von Regulatory Sandboxes –, und stecken so nach und nach den regulatorischen Rahmen von Legal Technology ab.

Streben Sie an, einen Abschluss in Legal Tech (Bachelor) anzubieten?

C.K.: In der Perspektivisch möchten wir Legal Technology sehr gerne in die Lehre an der WU einbringen. Ob man dazu einen gesonderten grundständigen Studiengang schaffen sollte, wird man sehen. Ich neige eher dazu, die Thematik stärker in die reguläre Jurist*innenausbildung zu integrieren anstatt es davon zu lösen – am Ende des Tages werden nämlich alle Jurist*innen in einem technologisierten Umfeld arbeiten.

Können auch bereits ausgebildete Juristen Ihr Angebot nutzen um sich weiterzubilden?

C.K.: Da wir unsere Ambitionen in der Lehre gerade erst entfalten, haben wir noch kein Weiterbildungsprogramm auf die Beine gestellt. Die WU Wien hat mit ihrer Executive Academy allerdings ein sehr starkes Weiterbildungszentrum, in das auch ein Format zu Legal Technology ganz hervorragend passen würde.