Die Qualität der Gesetze

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Erstverantwortung

Die Qualität der erlassenen Gesetze wird regelmässig ebenso gerügt wie die wachsende Menge an Gesetzen, was zudem die Auffindbarkeit des massgebenden Rechts erschwert. Jedoch ist die Ursachenvielfalt für die Rechtsmenge, Rechtsdichte und die Zuordnung zu den relevanten Rechtsgebieten derart gross, dass sich die Gesetzgeber schwer damit tun, das Recht allein schon von den tatsächlichen Anforderungen her rechtssatzbezogen in den Griff zu bekommen. Aber just das Doppel von Tatsächlichem und Rechtlichem macht klar, dass mindestens die Schlüsselfunktion beim Gesetzgeber liegen muss. Er hat sich über das Tatsächliche und das Rechtliche klar zu werden, zumal er sich Rechenschaft zu geben hat, mit welchen Zielen und Wirkungen das Tatsächliche rechtlich verbindlich angegangen werden muss.

Die Erstverantwortung für die Qualität des Rechts liegt also – sachlich und rechtlich bedingt – beim Gesetzgeber und insofern beim Verfassungs-, einfachen und Verordnungsgesetzgeber, konkret bei Regierung (mit Einschluss der Verwaltung), beim Parlament, beim Referendumsträger «Volk» und den Initianten formulierter Initiativen. Für den Verfassungsgesetzgeber geht es elementar darum, sich Klarheit zu verschaffen, in welchen Belangen und in welcher Art resp. Intensität der Staat rechtlich Einfluss zu nehmen und auszuüben hat. Das Fehlen der Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber den Bundesgesetzen entbindet weder Bundesrat noch Parlament und das Volk als Teilorgane der Gesetzgebung von der Prüfung der Verfassungsmässigkeit der Bundesgesetze. Sie haben den Stufenaufbau des Rechts (von BV, einfacher Gesetzgebung, Verordnung) der Bundesebene zu beachten und also den Vorrang der Verfassung zur Geltung zu bringen. Der Gesetzgeber kann diese Erstverantwortung nicht auf die Politik im Allgemeinen abschieben. Zwar besteht ein gewisser Zusammenhang zwischen Politikkultur und Rechtskultur und also eine Politikverpflichtung, sich des Rechts und damit auch der Rechtsetzung anzunehmen. Doch ist diese belastet mit der Neigung, wenig konkret zu werden. Sie mag mit vielen Stimmen erörtern und mahnen, doch die Konzentration auf die Kernanliegen und das Zuspitzen ist nicht eine Grundtugend und Grundbegabung der Politikkultur. Und so bleibt es dabei, dass die Erstverantwortung für die Qualität dem Gesetzgeber anhaftet. Die Politikkultur mag ihn ermuntern, entsprechende Leistungen zu erbringen, doch die endogene Rechtsverpflichtung liegt auf dem Gesetzgeber selbst.

Beizug von Experten

Die geschilderten Umstände zwingen den Bundesgesetzgeber, sich mit den sachlichen, den politischen und den rechtlichen Dimensionen der guten Gesetzgebung immer wieder grundlegend zu befassen. Nötigenfalls unter Beizug von Experten. Eine Verpflichtung hierfür besteht nicht, doch tun Bundesrat und Parlament gut daran, Experten und ausgewiesene Politikberater anzuhören, auf dass eine ausgewogene Meinungsbildung zustande komme. Die Rechtswissenschaft ist aufgrund ihrer Lehr- und Forschungsfreiheit eigenständig mit von der Partie des Gesetzgebungsprozesses. Einerseits über die intensive und breit abgelegte Kommentierung und Systematisierung des geltenden Rechts und der Novellierungs-/Ergänzungsbestrebungen sowie andererseits über die Gesetzgebungslehre und die kritische Verarbeitung der Rechtsprechung wie auch der Spezialliteratur zu den in Frage stehenden Rechtsgebieten. Sie antwortet nicht nur auf Fragen, sie wirft solche auch von sich aus auf. Das Parlament und das Volk Innerhalb der Verfassungs- und der einfachen Gesetzgebung ist es primär am Parlament, die Aufgaben der Gesetzgebung mit Umsicht und Sorgfalt zu erfüllen und also deren Qualität positiv zuzudienen. Und doch fühlen sich die Räte des Parlamentes, als Nationalrat und Ständerat, eher als politische Organe denn als Gesetzgeber, allein schon deshalb, weil sie nicht das einzige Organ der Gesetzgebung sind und weil sie in der Gesetzgebung eher das politische Weichenstellen als den Rechtsetzungsakt als solchen sehen. Und so neigen die Räte dazu, ihre Verpflichtungen auf die Qualitäten des Rechts bisweilen zu unterschätzen.

Rechtsetzungs-/Gesetzgebungslehre

So prinzipal die Verantwortung des Gesetzgebers für die Qualität der Gesetzgebung ist, so hilfreich ist die Unterstützung der rechtswissenschaftlichen Lehre. Sie kümmert sich i.w.S. um die Rechtmässigkeitsanforderungen an die zu treffende Regelung, i.e.S. um deren sachliche Zweckmässigkeit sowie die Wirksamkeit und im engsten Sinn um die formalen legistischen Minimal-Postulate der normativ-verbindlichen Ausrichtung der Aussagen des Rechts auf dem Weg über das Formulieren von Rechtssätzen, gefolgt von der sprachlichen und inhaltlichen Verständlichkeit und ferner der erforderlichen Adressierung. Die schwierigste Frage bildet jene nach der insgesamt resultierenden Qualität des Rechts. Wie ist sie zu charakterisieren, wie lauten die Qualitätsmerkmale und wie ist sie zu messen? Adressierung; rechtliche Grundlagen/Vorgaben (vorweg des höherstufigen Rechts); Zweck, Ziele (ergänzt durch Grundsätze, Prinzipien); sachlicher und zeitlicher Geltungsbereich; luzide Strukturen der Rechtssätze (konditionale, finale, nicht zwingende); Instrumente/Massnahmen; dosiertes normatives Spannungsverhältnis Rechtssätze – Sachverhalte; Verständlichkeit der Formulierungen; angestrebte Wirksamkeit (Effizienz, Folgewirkungen); Vollzugsvorgaben; erforderliche Rechtsänderungen am geltenden Recht; systematische Einordnung in Kodifikationen oder als Einzelerlass.

Bilanz

Angesichts der grösser werdenden Menge der Gesetze und deren Konfrontation mit den Problemkomplexitäten ist die Qualitätssicherung unumgänglich: von deren Rechtmässigkeit bis zu deren Verständlichkeit und vor allem auch der erleichterten Auffindbarkeit des massgebenden inmitten des umfangreich gewordenen nationalen/internationalen Rechts. Mängelbehaftetes Recht darf nicht erlassen werden. Die teilweise anhaltende problembedingte Gesetzesflut würde bei einem parallelen Qualitätsverlust der einzelnen Gesetze bedrohliche Ausmasse annehmen. Darum ist sowohl die Menge des Rechts als auch die Qualität zu kontrollieren und bewusst kritisch anzugehen, geradezu meisterlich zu meistern.